Virtuosität mit Humor
Artikel erschienen im Juli 2013 im Wina – Das jüdische Stadtmagazin
Béla Koreny ist als Pianist, der aus Ungarn nach Wien kam, in keine enge Kategorie einzuordnen. Sein Spektrum reicht von Musicalproduktionen bis zum Komponieren von Filmmusik, vom Schauspielen bis zu jazzig-coolen Barklängen. Von Reinhard Engel
Die Lücke konnte in Wien noch niemand füllen. Mehr als 20 Jahre lang betrieb Béla Koreny gemeinsam mit seiner Frau Marta in der Wiener City die Broadway Bar, ehe er 2007 wegen Mietproblemen zusperrte. „Bequem haben acht Leute Platz gehabt“, sagt er heute ironisch. „Wenn man zusammengerückt ist, 80 oder 90.“
Die Nachtschwärmer kamen in das plüschig-düstere Gassenlokal nicht vorrangig wegen Hochprozentigem. Es war das pralle künstlerische Leben, an dem dort ab 1984 Begabte wie Beglückte teilnehmen konnten. Zwar hatte Helmut Qualtinger anfangs noch moniert, er habe „noch nie so a schiache Bar gesehen“, doch nach einer Renovierung sah es schon anders aus. Und neben dem Hausherren, der allabendlich seine Gäste mit Klassik, Jazz und dem verwöhnte, was man damals noch nicht Weltmusik nannte, brachte gleich die angesagteste Truppe Schwung in den kleinen Raum unter der Ankeruhr: Es waren die Sängerinnen und Sänger der Cats-Produktion, die an ihrem freien Tag hier auftraten.
Sie blieben nicht lange die einzigen außergewöhnlichen Künstler, die dort begeisterten – egal ob bei fixen, von Koreny zusammengestellten Programmen oder spontan. Eine kleine Auswahl möge für viele stehen: aus Österreich Udo Jürgens, Mercedes Echerer und Cornelius Obonya. Julian Rachlin spielte oft hier, Gerhard Bronner, wenn er in Wien war, ebenfalls. Von internationalen Stars konnte man wiederholt Billy Joel zuhören, Mischa Maisky packte sein Cello aus, Leonard Bernstein war wohl kaum anderswo in so intimem Kreis zu erleben, und auch durchreisende Künstler fanden immer wieder hierher. Koreny: „Michel Piccoli hat einmal bei einem russischen Musiker spontan russische Lieder mitgesungen, Isabel Huppert hat französische Chansons gebracht.“ Roger Moore oder Kiefer Sutherland standen ebenfalls auf der winzigen Bühne.
Doch man würde Béla Koreny Unrecht tun, begrenzte man ihn nur auf die Jahre als Bar-Impresario. Denn Musik beherrschte sein ganzes Leben. Als Zwei- oder Dreijähriger – so erzählte ihm seine Mutter einmal – soll er schon nach einem Klavier gebrüllt haben, auf dem Hof der Großeltern im ungarischen Csepreg nahe der burgenländischen Grenze habe er die Hühner dirigiert. Der erste Einstieg ins professionelle Musikgeschäft ging freilich schief: „Mein Vater wollte mich in Budapest als Fünfjähriger an der staatlichen Musikschule einschreiben, aber man hat mich als unbegabt abgelehnt.“ Zum Glück hörte ihn ein Nachbar und gab ihm auch die ersten Klavierstunden: Es war der berühmte ungarische Pianist George (György) Cziffra.
Aus Csepreg in die Welt
Béla war 1946 geboren worden, seine Eltern hatten einander im letzten Kriegsjahr kennen gelernt. Der Vater, aus einer Gutsbesitzerfamilie in der Tokajer Gegend, war als Soldat im Westen Ungarns stationiert. Dort half er dem örtlichen Arzt, Bélas Mutter vor der bevorstehenden Deportation in den sicheren Tod zu verstecken. „Das war, weil sie jüdisch war, aber das hat sie mir erst viel später erzählt, vor einigen Jahren, kurz vor ihrem Tod.“ Die Familie lebte nach dem Krieg zeitweise auf dem Land, in Csepreg. Koreny: „Alles hatte sich umgedreht: Mein Vater war enteignet. Meine Mutter, die aus einer ganz armen Familie stammte, war reich, weil sie Hühner hatte.“ Später lebte die Familie in Budapest, wo sich der Vater als Musiker in Tanzlokalen durchschlug. 1956 flohen alle nach Österreich.
„Mein Vater wollte mich in Budapest als Fünfjähriger an der staatlichen Musikschule einschreiben, aber man hat mich als unbegabt abgelehnt.“
Die ersten Jahre wohnten die Korenys in Wiener Kasernen, die zu Flüchtlingslagern umfunktioniert waren. Béla studierte am Konservatorium der Stadt Wien bei Hans Bohnenstingl Klavier, dann an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Komposition bei Alfred Uhl. Eigentlich wollte er klassischer Pianist werden, doch dann hörte er bei Fatty George Friedrich Gulda Jazz spielen – und war fasziniert. Es folgten Jahre, in denen er für unterschiedliche Produktionen Filmmusik komponierte. Dann zog er mit seiner Familie – er hatte aus Csepreg seine Marta nach Österreich gebracht, und diese hatte ihm den Sohn Bélush geboren – durch ganz Europa, mit verschiedenen Bands. „Als Bélush kurz davor war, in die Schule zu gehen, habe ich gemerkt, er spricht nur ungarisch und spanisch. Da haben wir uns entschieden, nach Wien zurückzukehren.“ Es folgten die Jahre in der Broadway Bar.
Umtriebiger Vernetzer
Doch auch danach schwamm und schwimmt Koreny wie ein Fisch im Wasser der Wiener Kreativen. Einige Jahre verführte er Stars wie Angelika Kirchschlager, in der Wachau aufzutreten, wo er als Intendant in Spitz und Dürnstein agierte. Wiederholt stand er selbst auf der Bühne – in der Josefstadt, im Akademietheater oder bei den Festspielen Reichenau. Dann organisiert er die unterschiedlichsten musikalischen Programme an verschiedenen Wiener Spielstätten: zu Georg Kreisler oder Gerhard Bronner, mit Konstanze Breitebner oder Timna Brauer, ein witziges englisches Programm Wieviel ist das in Schuhen? mit Katherina Stemberger. Oder er führt eigene Kompositionen auf, mit den Wiener Virtuosen. Für den jüdischen Wohlfahrtsverein Ohel Rahel gelingt es ihm jedes Jahr, bei einer Spendengala eine Reihe von Kollegen zum unentgeltlichen Auftritt zu bewegen.
„Wozu braucht jeder Kreisverkehr ein Heldendenkmal?“ Béla Koreny
Zu Ungarn gibt er sich äußerst distanziert: „Meine Eltern waren überzeugte Ungarn, und als wir 1964 zum ersten Mal wieder nach Budapest gefahren sind, gab es eine ungeheure Enttäuschung.“ Diese empfindet er auch heute über die politische Entwicklung, vor allem den Nationalismus: „Wozu braucht jeder Kreisverkehr ein Heldendenkmal?“ Fragt man ihn, ob er noch einmal ein Lokal mit Bühne eröffnen würde, denkt er nicht lange nach: „Ja, aber es müsste 150 Plätze haben, auf denen man bequem sitzen kann.“