Béla Koreny erinnert sich
Er war zehn Jahre alt, als das ungarische Volk gegen die sowjetische Unterdrückung revoltierte: der seit 1956 in Österreich lebende Béla Koreny. Den 50. Jahrestag des Aufstandes nimmt der in Budapest geborene Komponist und Pianist nun zum Anlass für eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Erinner-Bar“. Ort der Lesungen, Konzerte und Diskussionen ist die legendäre Broadway Piano Bar, die Koreny seit über 20 Jahren in der Wiener Innenstadt betreibt.
Jenen 23. Oktober 1956 erlebte er folgendermaßen: „Ich ging mit meinen zwei Cousinen ins Kino. Als wir um etwa 14:00 Uhr losgingen, war in der Straße noch gar nichts zu bemerken. Es war zunächst ganz ruhig, ganz normal. Nach der Filmvorstellung war bereits eine gewisse Unruhe zu bemerken – die Straßen waren mit Menschen gefüllt, die sich später zu Großdemonstrationen formierten. „Am Abend, so um 18:00 oder 19:00 Uhr hörten wir Schüsse. Dann war klar, es ist nicht mehr eine friedliche Demonstration, sondern auf diese Menge, auf diese Menschen wird geschossen. Mein erster Eindruck war, dass ich einen Schuss gehört habe – und auch dass Menschen sich gegen etwas erheben und sich artikulieren können“, erinnert sich Koreny, der sich damals im neunten Bezirk von Budapest, also in einer Gegend, in der später besonders viele und erbitterte Kämpfe stattfinden wollten, aufhielt.
Bespitzelung und Zensur
Korenys Vater, ein Gewerkschafter, stand aufgrund seines regierungskritischen Engagements im Fadenkreuz des totalitären kommunistischen Regimes. Dass die Kommunisten seinem Vater – wie vielen anderen – nicht gerade wohl gesonnen waren, und dass mit Methoden wie Bespitzelung und Zensur gearbeitet wurde, damit wuchs Béla Koreny auf:
„Das habe ich schon als Kind mitbekommen. Und in der Schule wurde ich vom Lehrer aufgeordert zu berichten, welches Radioprogramm meine Eltern hören. Denn Radio Freies Europa, das aus München gesendet wurde, war für die Kommunisten ein rotes Tuch. So hatte man damals das Gefühl, zwar im eigenen Land zu leben – aber mit Regierenden, die einem nicht wohl gesonnen waren. Und 1956 bekam ich mit, dass die Menschen dagegen etwas unternahmen“, berichtet der Ungarn-Flüchtling.
Makabrer Toten-Transport
Am 4. November 1956 marschierte die Rote Armee in Ungarn ein und schlug den Volksaufstand brutal nieder. Béla Koreny und seine Familie versteckten sich damals im Keller, doch die blutigen Kämpfe gingen nicht an ihnen vorbei. Koreny erinnert sich an ein Gefecht zwischen ungarischen Aufständischen und russischen Soldaten, das in seinem Wohnhaus stattfand und ein makabres Nachspiel fand:
„Es lagen sechs tote russische Soldaten vor unserem Haus. Die Bewohner sagten, wenn die Soldaten kommen und die toten Russen liegen hier, werden sie das Haus in Schutt und Asche schießen – wir müssten die Leichen wegbringen. Sie legten die Toten auf eine Karre und führten sie zum nächsten Haus. Aber dessen Bewohner hatten selbst Angst und brachten sie zu uns zurück. So wurden die sechs Leichen durch sieben Straßen gekarrt, an verschiedenen Plätzen hingelegt – und kamen wieder zurück. Eine sehr makabre Erinnerung – aber es war damals so.“
Unerklärliches Verhalten
Rückblickend wundert sich Koreny über sein damaliges Verhalten: „Es war erstaunlich, dass weder ich noch meine Freunde Angst hatten. Wir spielten Fußball – und es lagen dort Leichen und Körperteile herum. Aber es hat uns nicht berührt. Ich hatte damals auch keine Abscheu. Das kann ich mir bis heute nicht erklären.“
Gefährliche Flucht nach Österreich
Es war ein gefährliches Unterfangen, als sich Bela Korenys Eltern damals zur Flucht nach Österreich entschlossen:
„Wir konnten ja nichts mitnehmen. Meine Eltern banden mich damals mit einem Spagat an sich, damit ich nicht verloren gehe. Dann marschierten wir Richtung Österreich, also ins Burgenland. Mein Vater erklärte damals, dass wir sehr vorsichtig sein müssten. Denn würden wir auf einen russischen Soldaten treffen, würde er auf uns schießen. Wäre es ein ungarischer Soldat, wüssten wir nicht, auf welcher Seite er steht – ob er ein Aufständischer ist oder linientreu. Wenn wir einen Österreicher sehen – dann haben wir gewonnen.“
Von Lutzmannsburgerin empfangen
In Österreich gedenkt man dieser Tage gerne der Solidarität, mit der die Tausenden Flüchtlinge aus Ungarn empfangen wurden. Auch der Familie Koreny, die aufgrund des politischen Engagements des Vaters zur Flucht gezwungen war, wurde diese Gastfreundschaft zuteil. Dem Erfrieren nahe hatten sie es bei Nacht und Nebel über die Grenze geschafft.
Als sich in der Entfernung eine Gestalt abzeichnete, lautete damals die Frage: Freund oder Feind? „Der erste Mensch, der uns auf österreichischem Boden begegnete, war eine Frau aus Lutzmannsburg, so um die 50, die mit warmer Suppe auf Flüchtlinge wartete. Das war meine erste Begegnung mit einem Österreicher. So hat man damals Fremde empfangen“, erinnert sich Koreny positiv an seine ersten Eindrücke.
Ungarn-Schwerpunkt in der Broadway Piano Bar
Heute hat der Musiker kein ungetrübtes Verhältnis zu Ungarn – was sich nun auch im Programm seiner Broadway Piano Bar niedergeschlagen hat: Der Ungarn-Schwerpunkt in den kommenden drei Wochen ist eine absolute Novität.
Das kulturelle Bekenntnis zu seiner Herkunft, das sich in der Veranstaltungsreihe „Erinner-Bar“ manifestiert, gehe durchaus auf seine persönliche Entwicklung zurück. „Wenn ich in Ungarn bin, habe ich immer aus irgendeinem Grund Zorres. Ich komme mit den Menschen dort schwer aus – vielleicht deshalb, weil ich ihre Sprache beherrsche. Jetzt bin ich 60 und möchte versuchen, mit Ungarn ins Reine zu kommen. Ich glaube, es ist Zeit, sich mit dieser Problematik auseinander zu setzen – deshalb präsentieren wir auch dieses Schwerpunkt-Programm“, so Bela Koreny.